E.A.S.T. (Essential Autonomous Struggles Transnational)

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Die Pandemie ist noch nicht vorbei und wieder einmal sind es die Frauen, die den höchsten Tribut zahlen müssen. In Mittel- und Osteuropa bewahren unentbehrliche Arbeitskräfte, zumeist Migrant*innen und Frauen, das Gesundheits- und Pflegesystem sowie die Reste der Wohlfahrt vor dem völligen Zusammenbruch. Der Westen verdankt ihnen die Aufrechterhaltung der Wohlfahrt und entlohnt sie mit institutionellem Rassismus und Ausbeutung. Die Zahl der neuen Corona-Infektionen steigt sprunghaft an und die Lebensbedingungen für Frauen, LGBTQI+- Menschen und Migrant*innen verschlechtern sich dadurch. All dies geschieht, während neoliberale Regierungen den Sozialstaat kontinuierlich abbauen und die globalen Ströme kapitalistischer Ausbeutung und Extraktion weiter stützen. Das ist es, was Aufschwung für sie bedeutet.

Überall in Europa und jenseits seiner Grenzen hat der so genannte Aufschwung zu einer Zunahme von häuslicher Gewalt, Vergewaltigung, sexuellen Übergriffen und Femiziden geführt. Dies kommt hinzu zu einer wachsenden Belastung mit bezahlter wie unbezahlter produktiver und reproduktiver Arbeit, die Frauen zu leisten haben. An der polnisch-weißrussischen Grenze, im Mittelmeer, in Flüchtlingslagern in Griechenland und Libyen, auf der gefährlichen Balkanroute und in der Türkei explodiert die rassistische Gewalt unter den Augen der mitschuldigen Europäischen Union, die das Leben von Tausenden Migrant*innen aufs Spiel setzt. Das Ende der US-Besatzung Afghanistans markiert den Beginn eines autoritären und patriarchalischen Scharia-Regimes, in dem Frauen unterdrückt, ausgebeutet, zwangsverheiratet, vergewaltigt, zum Kinderkriegen gezwungen und getötet werden. LGBTQI+-Personen und die Hazara-Minderheit sind durch die bloße Tatsache, dass sie existieren, in Lebensgefahr. In Polen starb eine weitere Frau, weil sich die Ärzte weigerten, eine Abtreibung vorzunehmen – eine direkte Folge des im Januar erlassenen Verbots. In der Türkei legitimiert der Rückzug aus der Istanbul-Konvention einen Anstieg der Fälle patriarchaler Gewalt gegen Frauen. Schutzräumen, einschließlich derjenigen für geflüchtete Frauen, wird die Finanzierung entzogen. In vielen mittel- und osteuropäischen Ländern gefährden Zwangsräumungen – oft unter dem Deckmantel der energetischen Sanierung – die Lebensgrundlage von Tausenden von Frauen, Migrant*innen, armen Menschen und Roma. Überall in Osteuropa haben die institutionellen Angriffe auf LGBTQI+-Menschen immer gewaltsamere Auswirkungen auf ihr Leben. In Italien hat sich das Parlament geweigert, ein Gesetz zur Verhinderung von Gewalt gegen LGBTQI+-Menschen zu verabschieden.

Regierungen und staatliche Institutionen sind nicht unsere Verbündeten und wir machen uns keine Illusionen darüber, dass ein Gesetz diese Gewalt lösen wird, aber ob es eins gibt oder nicht, macht einen Unterschied, wie wir in der Türkei erleben. Regierungen wie die von Erdogan nutzen legislative Mittel, um ihre Agenda durchzusetzen. Die Entscheidung, aus der Istanbul-Konvention auszusteigen, zeigt dies nur zu deutlich. Die Destabilisierung rechtlicher Rahmenbedingungen wird mehr und mehr genutzt, um Angriffe auf Frauen und LGBTQI+-Gemeinschaften zu legitimieren. Diese Entwicklungen verdeutlichen umso mehr: Die Kämpfe für die Befreiung von Frauen und für die Befreiung von LGBTQI+-Personen müssen gemeinsam, solidarisch gekämpft werden. Wir lassen uns nicht spalten. Im Sinne dieses gemeinsamen Kampfs geht der „Transgender Day of Remembrance“ (das Gedenken der Opfer von Gewalt gegen Transgender-Personen) am 20. November, dem 25. November voraus. Die Überschneidungen zwischen patriarchalen Angriffen auf Frauen und auf LGBTQI+-Menschen anzuerkennen, ist entscheidend, um soziale Kämpfe in Mittel-, Ost- und Westeuropa im Netzwerk Essential Autonomous Struggles Transnational (E.A.S.T.) zu verbinden und gemeinsam zu organisieren.

Wir weigern uns zu schweigen, denn die Gewalt gegen Frauen, LGBTQI+-Personen, Migrant*innen und essentielle Arbeitskräfte nimmt wieder zu. Die Dringlichkeit, Gewalt in all ihren Formen zu überwinden, ist überall zu spüren: in den massiven Demonstrationen polnischer Frauen gegen das Verbot von Abtreibungen; in den Protesten von Frauen gegen den Ausschluss von ihren Arbeitsplätzen; in den Streiks in den essentiellen Sektoren für bessere Arbeitsbedingungen und höhere Löhne; in den Grenzübertritten von Geflüchteten, die aus Syrien, dem Irak und Afghanistan fliehen und die polnischen Grenzen herausfordern; bei migrantischen Hausangestellten und Pflegekräften, die gegen die patriarchalen Verhältnisse in ihren Herkunfts- und Ankunftsländern kämpfen und sich gegen die von institutionellem Rassismus und der Erpressung von Ausweisdokumenten getragene Macht ihrer Chefs organisieren; im alltäglichen Kampf, den so viele Frauen gegen einen gewalttätigen Partner, Verwandten oder Freund führen. Diese kraftvollen Momente des Ungehorsams gilt es länderübergreifend miteinander zu verbinden, um den Prozess des globalen feministischen Streiks gegen patriarchale Gewalt aufzubauen und neu zu beleben. Patriarchale Herrschaft stützt sich auf rassistische und ausbeuterische Gewalt. Sie speist sich aus Spaltung, Isolation und Zersplitterung. Deshalb brauchen wir eine gemeinsame Stimme für all jene Kämpfe, die von Ost bis West, an den Grenzen Europas und darüber hinaus jene Verhältnisse sozialer Reproduktion in Frage stellen, die auf Gewalt und Unterdrückung basieren.

Die globale feministische Bewegung hat gezeigt, dass nur ein transnationaler Kampf diese gewalttätige Gesellschaft, die auf einem globalen Imperativ der Unterdrückung und Ausbeutung beruht, wirksam umstürzen kann. Machen wir unsere Verbindungen sichtbar, schaffen wir die Voraussetzungen für einen globalen feministischen Aufstand. Wir rufen alle, die den 25. November als Kampftag gegen patriarchale Gewalt zurückerobern wollen, auf, mit uns auf die Straße zu gehen und unsere gemeinsamen Slogans zu teilen: Stoppt die patriarchale Gewalt jetzt! Stellen wir unsere feministischen Bedingungen an die (post)-pandemische Transformation!